Die Fähigkeit, Angst wahrzunehmen, ist grundsätzlich eine gesunde Reaktion des Menschen in bedrohlichen Lebenssituationen. Sie weckt alle Sinne, macht aufmerksam und fordert auf, sich zu schützen. Erleben Menschen regelmässig Ängste, sind diese unverhältnismässig in Bezug auf die momentane Situation oder unerklärbar, dann können Unfälle oder schockartiges, bzw. traumatisches Erleben zugrunde liegen, welches nicht adäquat verarbeitet wurde. Der Mensch reagiert darauf mit Überaktivität, Hektik und Panik oder mit einem Zustand von Erstarrung, „Eingefrorensein“ bis hin zur Depression, oft mit Erinnerungsverlust oder Verdrängung des Erlebten.
Physiologisch zeigen sich Überaktivität und Erstarrung über das Nervensystem mit z.B. schnellerem Puls, erhöhtem Blutdruck, beeinträchtigter Atmung, Hitze-/Kälteschüben, Zittern, Schweissabsonderung, Durchfall, Harndrang, innerer Unruhe, Schlaflosigkeit und Albträumen. Muskeln ziehen sich zusammen, können sich verhärten, die Brust wird enger und der Atem flacher, Kreislauf und Verdauung geraten ins Stocken, das Immunsystem wird geschwächt. Menschen mit Angst können sehr reizbar sein, unvermittelt in Wut ausbrechen, sie entwickeln Überlebensstrategien oder übervorsichtiges Verhalten, fühlen sich verletzlich, ausgeliefert, sind übermässig schreckhaft oder resignierend und ziehen sich vom Leben zurück. Die Lebensqualität schränkt sich dabei extrem ein, wie z.B. bei Existenz- oder Todesangst, Angst vor der Angst, Prüfungs-, Flug-, Höhen-, Platz-, Verlustangst, Angst vor Kontrollverlust oder unter Menschen zu gehen.

Wie wirkt Shiatsu bei Angst?
Ein besonders wichtiger Aspekt bei der Behandlung von Angst ist ein vertrauensvoller therapeutischer Rahmen. Die achtsame Berührung der Körperebene mit Shiatsu- spezifischen Techniken ermöglicht den energetischen Ausgleich und fördert die Ressourcen, das Potential und die Selbstregulierung der Klientin/des Klienten. Nerven, Muskeln und Atmung können entspannen und die Verbindung mit der Erde kann als tragend erlebt werden. Sinneswahrnehmungen und Gedanken kommen in Einklang und stärken das Vertrauen in sich selbst und in den eigenen Weg. Das empathische Mitgehen der Therapeutin/des Therapeuten und das begleitende Gespräch fördern das Erkennen und Benennen von Zusammenhängen rund um das Auftreten und Handhaben der Angstzustände. Die Angst wird so beobachtbar, ihr kann bewusst und aktiv begegnet werden und so schwächt sie allmählich ab. Durch therapeutisches Shiatsu werden neue, stärkende Lebenserfahrungen möglich.
Fallbeispiel
Die Klientin ist Ende 20 und lebt mit ihrem Freund zusammen, sie ist in einer Anwaltskanzlei im kaufmännischen Bereich tätig. Seit 10 Jahren ist Frau S. Raucherin und nimmt seit ca. 5 Jahren Schlaftabletten aufgrund von Einschlaf- und Durchschlafstörungen. Sie möchte Shiatsu in Anspruch nehmen, weil sie sich von ihren Ängsten bestimmt und sich ihrer momentanen Lebenssituation nicht mehr gewachsen fühlt. Tagsüber erlebt sie bei ihrer Arbeit Leistungsdruck, Unkonzentriertheit, Stress und Ängste, am Abend die Angst vor dem „ins Bett gehen“, vor allem wenn ihr Freund nicht bei ihr ist. Sie habe Angst, die Schlaftabletten abzusetzen, da sie bei jedem früheren Versuch krank geworden sei und deshalb schon viel bei der Arbeit gefehlt habe. Auch möchte sie aus Angst vor Lungenkrebs mit dem Rauchen aufhören.
Frau S. wirkt zart und unsicher, mit blasser Gesichtsfarbe und „weit weg“. Sie zeigt sich sehr kopf-betont kontrollierend und hat auffallend feuchte Hände. Während und nach Shiatsu-Behandlungen nimmt sich die Klientin in ihrem Körper und Zentrum deutlicher wahr und wird sich ihrer inneren Unruhe und ihren Verspannungen bewusst. Sie erlebt neben tiefem Erkennen befreiendes Loslassen, inneres Weitwerden und Stabilität, Momente der Geborgenheit in sich selbst, auch wachsende innere Ruhe, Entspanntheit und Vertrauen. Sie setzt die angeleiteten Köper- und Atemübungen in ihrem Alltag um und stellt erstaunt fest, dass ihre Ängste abnehmen und sie wieder initiativ ist und Freude empfindet. Nach 2 Monaten setzt die Klientin in Absprache mit ihrer Hausärztin ihre Schlaftabletten ab und ersetzt diese durch pflanzliche Heilmittel, welche sie nach weiteren 3 Monaten bereit ist, abzusetzen. Ihr werden während des Behandlungszyklus im begleitenden Gespräch Zusammenhänge von früheren Lebenssituationen bewusst und wie sie ihren Ängsten ausgewichen ist, mit ihrem Kopf alles „meistern“ wollte und sich dabei selbst unter Druck gesetzt hat. Medikamente und Zigaretten seien Ersatz für Halt gewesen. Sie entscheidet, unter Anleitung ihrer Ärztin das Rauchen aufzugeben und hat den Wunsch nach Veränderung in ihrem Beruf.